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Bedeutung des Weinbergs

Über den wissenschaftlichen Wert des Herborner Weinbergs

Ein erhaltenswertes Naturdenkmal

von Werner Specht (Greifenstein-Beilstein)

In den letzten Jahrzehnten war es still geworden um die Geologie des Weinbergs. Als Naturdenkmal geschützt, durften dort keine Fossilien mehr gesammelt werden; es sei denn, die gesammelten Objekte dienten wissenschaftlichen Zwecken.

Seit Heinzcarl Bender (1904 – 1978) aus Herborn nicht mehr lebt, hört man nicht mehr viel vom Weinberg. Ihm hatte der Erhalt dieses geologischen Naturdenkmals sehr am Herzen gelegen. Von Zeit zu Zeit hatte er ein Lebensbild des ehemaligen Kulmmeeres bei Herborn veröffentlicht. Hier ein nachempfundenes kurzes Paradigma.

Vor ca. 340 Millionen Jahren war unsere Heimat von einem flachen Meer bedeckt, dem sogenannten Kulmmeer. In der Nähe von Herborn gab es eine Flussmündung, aus der kühles und nährstoffreiches Wasser ins damals tropische Meer gespült wurde. Unter den gegebenen Bedingungen fanden natürlich viele Tiere ihre Lebensgrundlage.

Einige Beispiele: Dreilappkrebse (Trilobiten) durchfurchten den Schlamm, Armfüßer (Brachiopoden) und Muscheln (z. B. Posidonia) besiedelten das Meer, frühe Vorläufer der Tintenfische, die Krummhörner (Goniatiten) und Gradhörner (Orthoceras) schwebten im Wasser. Pflanzenteile trieben im Meer, z. T. heute noch als Fossil auf Schieferflächen gut erhalten, zeigen Landnähe an.

Im Süden entstand später eine Erhebung, die sogenannte Mitteldeutsche Schwelle. Eine Änderung der Verhältnisse trat ein, die Schieferablagerungen wurden durch Grauwackensedimente ersetzt. Diese Ereignisse lassen sich auch am Weinberg studieren. Die Zeit der reichhaltigen Fauna des Meeres endete wohl damit. Soviel als anschauliche Kulisse.

Zwei Poseidons-Muscheln, je 3 cm (Posidonia becheri), darunter ein Schachtelhalmstengel. Fundort: Kulmschiefer Erdbach. Foto: Werner Specht.

Was hinterließ nun dieses Kulmmeer an außergewöhnlichen Funden? Den wohl bedeutendsten Fund eines Fossils beschrieb Professor Goldfuss 1838. Ein Gliederfüßler namens Bostrichopus antiquus, von dem man zunächst annahm, dass es eine Spinne sei, die vom Land in das Meer gelangt war. Prof. Gerhard Hahn (Marburg) hat dieses Tier jedoch später als Larve eines Krebstieres bestimmt, das schwebend im Meer gelebt hat. Ein bisher einmaliger Fund! Eine größere Bearbeitung des Weinbergs hat Dr. ing. Wolfdrietrich Bindemann (Herborn) durchgeführt.

Bostrichopus antiquus, (a) das ganze Tier, (b) der Rumpf, (c) einzelne Ranke, vergrößert.

Aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1905

Als geologisch Interessierter hat er die Weinbergschichten geologisch vermessen, jedes einzelne Schichtpaket und dessen Lage wurde notiert. Dabei stellte er fest, dass die Ablagerungen des Weinbergs 112 m betragen, während die gleichen Schichten im Sauerland nur 1 m messen. Wie kommt das? Im hier untersuchten Gebiet befand sich die oben erwähnte Flussmündung, die ihre Sinkstoffe immer weiter ins Meer hinaus verlagerte. Dabei häuften sich die Ablagerungen an.

Bei der genauen Erforschung der Weinbergschichten machte Bindemann 1938 als Primaner eine sensationelle Entdeckung: Er fand die Reste eines bisher noch nicht entdeckten Seeigels, der in Teilen auf den Schichten lag. Diese Teile gehörten zu dem kompliziert gebauten Kauapparat dieses Seeigels. Plinius nannte den Seeigel-Kauapparat die „Laterne des Aristoteles“. Die Zähne der „Herborner Laterne“ sind gezackt, was bisher nur bei einer einzigen aber jüngeren Seeigelart aus Amerika beobachtet wurde. Der Fund des Herborner Seeigels wurde nach dem Finder Meekechinus herbornensis Bindemann genannt.

Es wurden von Bindemann allerdings noch mehr Tierarten gefunden, nämlich über 100, z. T. neue Arten. Mit seinem Namen verbunden sind außerdem der Trilobit Carbonocoryphe bindemanni und ein Goniatit mit Namen Girtyoceras bindemanni.

Vergrößertes Modell der „Laterne des Aristoteles“.
Sie dient zum Beißen und Nagen bei den Seeigeln. Der griechische Gelehrte hat die Funktion dieses Werkzeuges schon gekannt und beschrieben. Bild aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28.09.1994, Repro: Werner Specht.

Tafel 1 aus Dr. Bindemanns Sonderdruck (Senckenbergiana 1938). Die Einzelteile der „Herborner Laterne“. Repro: Museum Herborn.

Der Goniatit Girtyoceras bindemanni, ca. 5 cm. Rechts unten eine Posidonia-Muschel.-Kulm.- Fundort: Erdbach. Foto: Wolfgang Paul.

Ein Göttinger Student hat Anfang der 1970er Jahre für seine Doktorarbeit auf die Unterlagen von Dr. ing. Bindemann zurückgreifen können. Diese Dissertation umfasst eine bestimmte Zone aus der Kulmzeit, wobei Goniatiten noc als Leitfossilien dienten. Mit einbezogen in die Arbeit waren die gleichen Schieferschichten des Kulmzeitraumes im Sauerland.

Um die Vielzahl der Trilobitenarten aus der Kulmzeit haben sich Prof. G. Hahn und seine Ehefrau Renate (Marburg) verdient gemacht. Fast alle Trilobitenarten wurden von ihnen bestimmt.

Vor längerer Zeit gelang eine weitere wichtige Entdeckung in den Weinbergschichten. Durch Zufall wurden die Reste eines Schlangensterns entdeckt. beschrieben wurde dieser Fund 1981 von den Professoren Gerhard Hahn und Carsten Brauckmann. Ein Resümee war: „Die Schlangensterne im Kulm bei

Herborn zeigen erneut an, dass der Meeresboden besiedelt war und die Lebensbedingungen damit nicht ungünstig waren.“

Schachtelhalmstengel, Länge 8 cm. Im Kulmschiefer von Dainrode bei Frankenberg/Hessen. Foto: Werner Specht.

Auch eine Pflanzenseltenheit gab es. Ein ehemaliger Herborner, Stephan Spitzer, fand vor vielen Jahrzehnten eine Schieferplatte mit dem Abdruck einer Blattscheide mit gegabelten Enden von einem urzeitlichen Schachtelhalm. Die Untersuchung im Senckenbergmuseum ergab, dass es sich um eine neue unbekannte Form handelt. Prof. Leistikow (Frankfurt) ehrte auch hier den Finder mit dessen Namen: Archaeophyllumspitzeri.

Es wurden hier hauptsächlich berühmte Einzelfunde aus den Herborner Weinbergschichten aufgezählt und beschrieben, um die wissenschaftliche Bedeutung dieses Naturdenkmals zu würdigen. Eine vollständige Erhaltung des Weinbergs wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn mit Sicherheit birgt der Weinberg noch viele geologische Kostbarkeiten.

Literaturverzeichnis

Bender, H. C. (1959a): Am urzeitlichen Meeresstrand in Herborn. Heimatjahrbuch für den Dillkreis 1959.

Bender, H. C. (1973b): Faszinierende Jagd in der heimatlichen Urgeschichte. Herborner Tageblatt, 05. Januar 1973.

Bindemann, Dr. ing. W. (1938a): Ein Echinid mit Laterne aus dem Kulm von Herborn.

Senckenbergiana, Band 20, Frankfurt am Main. Sonderdruck.

Anonymus (b): Leitfossilien in der Schieferwand. Dillzeitung. 14. Oktober 1959

Bindemann, Dr. ing. W. (1962c): Mündliche Aussage.

Flick, H. (2013): Das Rheinische Schiefergebirge – eine geologische Geschichte. Aufschluss 64, Heidelberg. Sonderdruck.

Hahn, G. und Hahn, R. (1975): Die Trilobiten des Ober-Devon, Karbon und Perm. Berlin (Bornträger).

Hahn, G. und Brauckmann, C. (1981): Ein neuer Ophiuren-Fund aus dem Kulm von Herborn.

Geol. Jb. Hessen 109, Wiesbaden. Sonderdruck.

Kükenthal, W. (1920): Zoologisches Praktikum. Verlag G. Fischer. Jena.

Nicolaus, H. J. (1958): Zur Stratigraphie und Fauna der crenistria-Zone im Kulm des Rheinischen Schiefergebirges. Diss. Univ. Göttingen

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